29. Oktober 2013
Biel: Eine Zeit-Reise ins Schweizer Uhrenmekka.
Der heutige Reise-Tipp wendet sich zwar nicht nur an die, die mehr Uhren haben als Zeit. Doch lassen Sie uns offen reden: Ein wenig Kleingeld könnte nicht schaden, wenn Sie sich zu einem verlängerten Wochenende nach Biel aufmachen. Es geht in den Schweizer Kanton Bern. Die größte zweisprachige Stadt des Landes, am Rande des Berner Juras gelegen, gilt in vielerlei Hinsicht als helvetische Musterkommune. Nicht nur, weil das Miteinander von deutsch- und französischsprachigen Einwohnern hier vorbildlich klappt; auch in Sachen Image ist „Bienne“ zutiefst eidgenössisch. Schließlich schlägt hier das Herz der internationalen Uhrenindustrie. Eine gut getaktete (Feinschmecker-)Reise auf den Spuren eines unbeugsamen Freigeistes …
Als 1842 Biels erste Uhrenmanufaktur eröffnete, hatte die Uhrmacher-Ära im nicht allzu fernen Genf längst begonnen. Bereits 1735 war – als erste Chronographen-Manufaktur der Welt – Blancpain gegründet worden; 20 Jahre später folgte Vacheron Constantin am Quai de l’Île. In Biel hingegen tickten die Uhren langsamer; dort wartete die Geschichte noch auf einen eigensinnigen Emigranten aus dem Norden.
Der Student Ernst Schüler, von dem hier die Rede ist, war ein politischer Idealist, der sich mit den absolutistisch geprägten Obrigkeiten seiner Zeit nicht abfinden mochte. Aus dem hessischen Darmstadt stammend, hatte er im April 1833 am Frankenfurter Wachensturm teilgenommen und – wie viele andere Revolutionäre des „Vormärz“ – in der Folge aus Deutschland fliehen müssen. Im eidgenössischen Biel fand der 25-Jährige eine Anstellung als Gymnasiallehrer. Nachdem er sich 1840 eine Uhrenwerkstatt eingerichtet hatte, ging er zwei Jahre später dazu über, auch selbst Zeitmesser herzustellen.
Der umtriebige Neubürger machte es sich und seiner neuen Umgebung nicht leicht. Auch in seiner neuen Heimat meldete sich Schüler kritisch zu Wort: Als Verleger und Politiker focht er für seine liberalen Überzeugungen. Weil er sich damit nicht überall Freunde machte, stieß auch sein Engagement für die Bieler Uhrenindustrie nicht ausschließlich auf Zuspruch. Immerhin: Von 1844 an wurde auswärtigen Uhrmachern der Zuzug erleichtert, sodass ihre Zahl rasch anstieg. Um 1850 waren bereits rund 500 Uhrmacher in Biel ansässig.
Heute zählt das nur rund 50.000 Einwohner große Biel nicht weniger als 100 Uhrenfirmen – darunter so klingende Namen wie (die inzwischen zum amerikanischen Movado-Konzern gehörende Marke) Ebel, La Montre Hermès und die Swatch Group, die allesamt hier ihren Hauptsitz haben. Der Zeitmesser Omega der Manufaktur Louis Brandt & Frères lockt gar mit einem eigenen Museum.
Natürlich dürfen Sie Ihren Aufenthalt in der Uhren-Hauptstadt auch dazu nutzen, auf geographische und kulinarische Entdeckungsreise zu gehen. Höchst empfehlenswert ist ein Ausflug in die reizvolle Rebenlandschaft am Nordufer des Bielersees. In den drei Winzerdörfern Twann, Ligerz und Tüscherz-Alfermée wird deutsch gesprochen. Auf dem Rebenweg laufen Sie – immer den Rebhängen am linken Bielerseeufer entlang – auf einer der schönsten Wanderstrecken der Schweiz. Besonders idyllisch sind die rebbestandenen Hänge von Tüscherz bis Schafis sowie die St.Petersinsel.
Übrigens: Zwischen Twann und Ligerz verläuft parallel oder auch unmittelbar auf dem Rebenweg der sogenannte Pilgerweg, der als Streckenabschnitt einst das Elsass mit Santiago de Compostela verband. Gönnen Sie sich doch einen rund einstündigen Spaziergang mit See-Blick und planen Sie im Anschluss unbedingt einen Restaurantbesuch ein: Die Fischspezialitäten der Bieler Küche hätten es verdient! Ob magerer und grätenarmer Egli („Flussbarsch“), ob Felchen (hierzulande auch „Renken“ genannt), ob Zander oder Hecht: Bei einem Glas Chardonnay oder Chasselas („Gutedel“) vom Bielersee kommen Sie garantiert auf den Geschmack.
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